«Nashörner» in Bern ausgewildert
25.07.2024
Erste Auswilderung von Käfern in der Schweiz
Am 24. Juli 2024 wurden zum ersten Mal in der Schweiz Käfer ausgewildert. Etwa 50 Larven des Nashornkäfers (Oryctes nasicornis) wurden in einem sogenannten Käfer-Treff auf dem Areal des Tierparks vergraben. Das Berner Käferprojekt wurde als Gemeinschaftsprojet von Stadtgrün Bern, des Naturhistorischen Museums und des Tierpark Bern im Jahr 2021 lanciert. Ziel davon ist es, die drei gefährdeten, ehemals in Bern heimischen Totholzkäferarten, Nashornkäfer, Hirschkäfer und Marmorierte Rosenkäfer innerhalb der Stadt Bern wieder anzusiedeln und gezielt zu fördern. Nach 4 Jahren wurden nun als Pilot die ersten Nashornkäfer auf dem Areal des Tierparks angesiedelt.
Die Zucht von Nashornkäfern
Nashornkäfer die früher vor allem in Gerbereien häufig waren, sind in Bern seit rund 100 Jahren verschwunden. Damit die schweizweit seltene Art hier bei uns also überhaupt wieder heimisch werden kann, wurde im Sommer 2021 mit der Zucht begonnen. Damals durften wir 18 Larven aus dem Bodensubstrat eines Spielplatzes in Basel entnehmen und im Tierpark Bern zur Zucht ansetzen. Aus diesen 18 Larven entwickelten sich Käfer, mit welchen anschliessend erfolgreich weitergezüchtet werden konnte. Aus diesen Paarungen entstanden viele Eier, die sich während zwei Jahren zu 350 stattlichen Larven entwickelten.
Die Auswilderung der Larven
Bevor es zu einer Auswilderung kommen kann, müssen selbstverständlich die geeigneten Lebensräume vorhanden sein. Für Nashornkäfer heisst dies, dass pro Standort ein genügend grosser Haufen aus totem Laubholz vorhanden sein muss, von dem sich die Larven während den 3 Jahren Entwicklung ernähren können. Andererseits muss das Holz einen gewissen Grad an Zersetzung aufweisen, damit die Larve die im Holz enthaltene Zellulose aufspalten und verwerten kann. Seit 2021 wurden fünf solche „Käfer-Treffs“ innerhalb der Stadt Bern aufgebaut und unterhalten.
Auswilderungen von Käfern gab es in der Schweiz noch nie. In Zusammenarbeit mit Käferexperten wurde ein Setting dafür entworfen, das sich vor allem auf Erfahrungen aus dem Ausland stützt. Als Pilotprojekt dazu wurden Ende Juli 2024 rund 50 Käferlarven in einem der Käfer-Treffs auf dem Areal des Tierparks ausgesetzt. Dies hilft uns erste Erfahrungen zu sammeln, bevor wir die Käfer auch an den anderen vier dafür vorgesehenen Standorten aussetzen.
Totholzkäferlarven sind an das Substrat gebunden, in dem sie aufgewachsen sind, weil sich ihre Darmbakterien spezifisch darauf eingestellt haben und sich nur langsam an eine neue Umgebung anpassen können. Deshalb wurden die Larven in Holzkisten ausgesetzt, die mit ihrem „Heimat“-Substrat gefüllt sind. Die Kisten gleichen kleinen Harassen mit Deckel. So sind die Larven vor Vögeln und anderen Fressfeinden geschützt und können trotzdem hinaus und auch wieder hineinkriechen. Diese Kisten wurden tief in den Totholzhaufen vergraben, so dass die klimatischen Bedingungen möglichst optimal für die Weiterentwicklung der Larven sind. Die Kisten aus unbehandelten Laubhölzern zersetzen sich im Laufe der Zeit und dienen damit kommenden Käfergenerationen erneut als Nahrung, wie das sie umgebende Totholzsubstrat.
Die so eingesetzten 50 Nashornkäfer Larven werden sich innerhalb der nächsten Wochen verpuppen und zirka 3 Wochen später zu fertigen Käfern weiterentwickeln. Diese überwintern inaktiv und gut vergraben im Substrat, ehe sie ungefähr im Mai 2025 an die Oberflächen gelangen, sich verpaaren und die nächste Generation Eier in das Substrat ablegen. So werden diese Tiere hoffentlich für die ersten wilden Nashornkäfer in der Stadt Bern nach rund 100 Jahren sorgen.
Der Kanton Bern hat für die Totholzkäferarten Hirschkäfer, Nashornkäfer und Marmorierter Rosenkäfer Aktionspläne verabschiedet, der Tierpark Bern und Stadtgrün Bern sind aktive Partner bei der Umsetzung.
Mehr Raum für Käfer
Das Insektensterben hat weltweit gravierende Ausmasse erreicht. Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass die Biomasse von Fluginsekten innert 26 Jahren um mehr als 75% zurückgegangen ist. Auch in der Schweiz sind rund 60% der Insektenarten bedroht, wie die Schweizerischen Roten Listen1) zeigen.
Käferförderung am Beispiel Nashornkäfer und Hirschkäfer
Die Situation in Bern widerspiegelt diese Entwicklung: vor knapp hundert Jahren waren Nashornkäfer, Hirschkäfer, Heldbock und andere imposante Brummer noch heimisch. Heute sind sie verschwunden und kommen ohne Hilfe nicht wieder zurück. Dies deshalb, weil sie eher schlechte Flieger sind und sich nur über kurze Strecken selbständig ausbreiten. Die drei genannten Arten leben in alten Baumhöhlen, in verpilzten Baumstämmen oder in grossen Holzschnitzelhaufen. Diverse andere Käferarten sind zwar ab und zu noch anzutreffen, gelten aber als selten. Sie alle haben spezielle Ansprüche an ihren Lebensraum, benötigen als Nahrung beispielsweise nur Linden- oder Eichenholz, brauchen tellerförmige, einheimische Blüten für die Eireifung oder eine bestimmte Krautart für die Entwicklung von der Larve zum ausgewachsenen Käfer.
Der Rückgang der Holzkäfer ist exemplarisch für das eingangs erwähnte Insektensterben. Der Verlust geschah und geschieht schleichend und ist bei weitem nicht nur dem Einsatz von Pestiziden geschuldet. Eigentlich böte der Siedlungsraum den holzbewohnenden Käfern einen guten Lebensraum: Alte, gut besonnte Bäume mit toten Ästen, Höhlen oder Wurzeln von Weiden entlang der Aare sind das Substrat, in dem sich diese Insekten wohlfühlen. Trotzdem sind sie im Raum Bern ausgestorben – wegen Bautätigkeit, der Verinselung (grosse Distanzen zwischen noch existierenden Populationen) und unseren Ansprüchen an Sicherheit, Ordnung und Ästhetik.
Die grösste Käferausstellung auf kleinstem Raum
16. Juni 2023 – «Ohne Mistkäfer würden wir im Kot versinken». So vielfältig Käfer sind, so vielfältig sind die Funktionen, die sie ausüben. Vom Mist verarbeiten über Abbau von Totholz, Bestäubung von Pflanzen, Beitrag zur Entsiegelung von Böden bis zum Glück, dass der Marienkäfer bringt. Der Schluss liegt nahe: Ohne Käfer geht gar nichts mehr. Doch viele Käferarten sind stark bedroht, ihre Lebensräume verschwinden zunehmend, auch im Raum Bern.
Der Tierpark engagiert sich seit Herbst 2021 auf vielfältige Weise für mehr Raum für Käfer. Neben der Zucht und dem Aufwerten von Lebensräumen ist die Sensibilisierung für die Vielfalt der Käfer ein wichtiger Bestandteil des Engagements des Tierparks für Mehr Raum für Käfer. Seit heute steht neben dem Käfer-Treff im Dählhölzli-Zoo ein sogenanntes Käfermobil, eine grosse Käferausstellung auf kleinstem Raum. In und auf diesem findet ihr spannende und unglaubliche Informationen zu Käfern, ihrer Vielfalt, ihrer Biologie, ihren Anpassungen, ihren Ökosystem-Leistungen.
Das Käfermobil regt Besucherinnen und Besucher aller Altersgruppen zum Erforschen, Staunen und Handeln an. Die Mobiliar sponsert das Käfermobil und betont damit ihr Engagement für Mensch, Tier und Natur. So leistete die Mobiliar Gesellschaft kürzlich auch eine Anschubfinanzierung für den neu eingeführten Natur- und Artenschutzfonds des Tierpark Bern.
Gemeinsam für einheimische Käfer
Frühjahr 2021 – In vielen Städten hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden und die Natur erobert ihren Platz zurück: In Parks, Friedhöfen, an Böschungen und in Privatgärten darf wieder etwas Unordnung herrschen, ein «Unkraut» wachsen und ein Holzhaufen verrotten. Die Stadt Bern setzt explizit auf Aufwertungen und Fördermassnahmen auf öffentlichen Flächen, um die Biodiversität zu erhöhen. Mit diesem Ziel vor Augen haben der Tierpark Bern, Stadtgrün Bern und das Naturhistorische Museum zusammengespannt. Unsere Vision: von der Lorraine bis zur Elfenau mit Hotspot im Dählhölzli sollen die Lebensräume für seltene Käfer entlang der Aare aufgewertet werden2).
Der Tierpark Bern
Im Tierpark Bern werden unter der fachkundigen und wissenschaftlichen Begleitung von Käferexperten die seltenen Holzkäfer gezüchtet. Auf dem Areal des Tierparks entsteht ein sogenannter Vorzeige «Käfer-Treff», welcher für die Lebensbedingungen der Käfer und einfache Fördermassnahmen im Privatgarten sensibilisiert.
Stadtgrün Bern
Stadtgrün Bern schafft mit weiteren Käfer-Treffs neue Lebensräume für seltene Käfer auf öffentlichen Flächen im gesamten Aareraum der Stadt Bern. Mit Hilfe des Baumkompetenzzentrums werden zudem von seltenen Käfern bewohnte Bäume erfasst und wo immer möglich erhalten.
Naturhistorisches Museum Bern
Das Naturhistorische Museum eröffnet im Herbst 2023 eine Sonderausstellung zum Thema Insektensterben. Zudem stellt das Museum mit seinen sechs Millionen Objekten in der Sammlung ein wichtiges Archiv des Lebens dar. Die Sammlung zeigt unter anderem auf, dass die Biodiversität rund um Bern in der Vergangenheit viel grösser war.
Helfen Sie mit – Citizen Science
Auch die Berner Bevölkerung kann einiges zum Gelingen des Projekts beitragen. Nebst einfachen Fördermassnahmen im Privatgarten wie dem Pflanzen von wichtigen Käfernahrungspflanzen oder dem Stehenlassen von abgesägten Baumstämmen, können freiwillige Personen mithelfen, seltene Käferarten im Raum Bern aufzuspüren. So können noch vorhandene Vorkommen von gefährdeten Arten besser geschützt und gefördert werden. Interessierte können sich für die dafür nötige Einführung in die Käferbestimmung im Tierpark melden. Denn zusammen können wir einen Unterschied machen.
1) Rote Listen sind anerkannte wissenschaftliche Gutachten, in denen der Gefährdungsgrad von Arten dargestellt ist. Sie werden in der Schweiz im Auftrag des BAFU von Fachpersonen erstellt.
2) Siehe auch Rahmenstrategie Nachhaltige Entwicklung der Stadt Bern, HSP 2
Dieses Projekt wird von der Stiftung Artenschutz und vom Kanton Bern mitfinanziert.
Der einzige bekannte Standort in der ganzen Schweiz, wo noch Nashornkäfer (Oryctes nasicornis) vorkommen: ein Spielplatz in Kleinbasel.
- Förderung von gefährdeten Käferarten auf dem Areal des Tierpark Bern
- die Etablierung einer Population von Nashornkäfern (Oryctes nasicornis); später auch Hirschkäfer (Lucanus cervus) auf Berner Stadtgebiet und /oder Stärkung der Ausgangspopulationen durch Nachzuchttiere
- Sensibilisierung der Bevölkerung und Anregung zum eigenen Handeln (z.B. in Privatgärten)
- Erstellung eines Aktionsplans für die Stadt Bern, mit Hilfe der im Projekt gesammelten Erfahrungen und den Erkenntnissen aus den Gesamtprojekt
- Zucht von Nashornkäfer und Hirschkäfer im Tierpark Bern
- Aufwerten von ausgewählten Arealen innerhalb des Dählhölzli-Zoo im Tierpark Bern zum Käfer-Treff und evtl. erste Besiedlung durch Käferlarven
- Informations- und Sensibilisierungsangebote, u.a. Einrichtung eines Käfer-Treffs, Themenführungen, Angebote für Lehrer und ein Erlebnis-Schulkurs zu den Insekten allgemein (inkl. Insektensterben) und den Käfern
- Mitarbeit im übergeordneten Aktionsplan