Das bunte und vielfältige Leben im Riff
30.03.2020
So bunt und vielfältig ist das Leben im Riff
Haben Sie sich schon einmal vor das Korallenriffaquarium im Dählhölzli gestellt, die vielen bunten Fische, wie den Clownfisch, den Achillesdoktorfisch oder den Juwelenfahnenbarsch, bewundert und sich gefragt, warum die Korallenfische eigentlich so bunt sind? Ist es denn nicht kontraproduktiv, als kleiner Fisch so auffallend gefärbt zu sein, sodass er von seinen Fressfeinden sofort entdeckt und verschlungen wird?
Nun, dann probieren Sie es einmal aus: Positionieren Sie sich zwei, drei Meter vor dem Korallenriff im Dählhölzli, stellen Sie sich vor, dass Sie ein Raubfisch mit Lust auf ein köstliches Fischfilet, sind und kneifen Sie die Augen zusammen. Da die meisten Fische von Natur aus kurzsichtig sind, können Sie nur bis zu einem Meter entfernte Objekte scharf sehen. Sie werden feststellen, dass die farbigen Fische vor dem bunten Hintergrund des Riffs zu einem flirrenden Ganzen verschwimmen. Einen einzelnen Fisch auszumachen und zu fangen, scheint schier unmöglich. Diese Art der Tarnung heisst Somatolyse und bedeutet das Verschmelzen eines Lebewesens mit seiner natürlichen Umgebung. Das Tier wird durch Anpassung an die Struktur und Färbung der Umgebung gewissermassen unsichtbar und ist für den Räuber nicht zu sehen. Zudem sind die farbigen Korallenfische im Meer auch wegen der schrittweisen Absorption des Lichtspektrums unter Wasser gar nicht mehr so bunt. Das langwellige rote licht wird am schnellsten absorbiert, das gelbe geht etwas tiefer, während das blaue licht am tiefsten in das Wasser dringt.
Viele Korallenfische tragen die wärmeren Farben Rot und Gelb, reflektieren somit nur wenig von der gefilterten Lichtstrahlung und erscheinen dadurch unauffällig dunkel. Sind Fische zudem auffällig gemustert – beispielsweise mit blauen Punkten auf rotem Grund – wie der Leopardenjunker, so wirkt das Rot in einiger Tiefe bräunlich und die blaue Punktzeichnung löst die Körperumrisse auf. So ist der Fisch in seiner blauen Umgebung kaum mehr zu erkennen.
Die Verwendung von Komplementärfarben wie Blau und Gelb bietet einen weiteren Vorzug: Sie verschmelzen aus der Entfernung zu Grau. Ein blau-gelb-schwarz gefärbter Paletten-Doktorfisch (alias Dori aus dem Film «Findet Nemo») wirkt daher aus der Ferne grauschwarz und sticht trotz seiner Farbigkeit nicht hervor. Im Flachwasserbereich eines Korallenriffs herrscht hingegen reichlich Sonnenlicht, und das Lichtspektrum ist noch ziemlich vollständig vorhanden – inklusive der kurzwelligen UV-Strahlung.
Sicht vom Raubfisch aufs Riff- ein flirrendes Farblabyrinth
Eine Liebeserklärung in Rot?
Diese Lichtverhältnisse ermöglichen wiederum die Kommunikation durch Farben
Die Augen der Korallenfische, ihrer Räuber und ihrer Beute sind an die speziellen Unterwasserbedingungen angepasst. Die Rotwahrnehmung ist bei einigen Fischen im Lauf der Evolution verloren gegangen, daher kann sie rotsichtigen Fischen als eine Art Geheimkommunikation dienen: Was sich diese Fische in Rot auf den Körper zeichnen, ist für andere Fische unsichtbar. So können sie während der Paarungszeit in leuchtendem Rot die Liebeserklärung am Körper tragen -ohne befürchten zu müssen, von räuberischen Fischen entdeckt und gefressen zu werden.
Die Farbsichtigkeit tagaktiver Korallenfische ist in manchen Spektralbereichen sogar feiner und vielfältiger als die menschliche. Wie erwähnt, haben manche Korallenfische zwar die Fähigkeit eingebüsst, Rot zu sehen, doch dafür haben sie die Blauwahrnehmung verfeinert und mitunter sogar in den ultravioletten Bereich ausgedehnt Forschungsergebnissen zufolge haben rund die Hälfte der Korallenfische die Fähigkeit, UV-Licht wahrzunehmen. Riffbarsche beispielsweise, wie der Banggai Kardinalbarsch, tauschen sich über ultraviolette Signale aus, aber ihre Räuber können die Zeichen nicht sehen.
Die Entfernung unter Wasser spielt eine weitere Rolle in der Kommunikation: Kurze Wellenlängen des Lichts werden besser gestreut als lange, UV-licht mit seinen extrem kurzen Wellenlängen hat daher nur eine kurze Reichweite, bevor das Signal sich zerstreut. Der Austausch über UV-Signale eignet sich also besonders für kurze Distanzen, beispielsweise beim Werben um das andere Geschlecht, wobei Fische aus der Entfernung nicht «lauschen» können.
Das Riff in der Tiefe – hier sind die Rot- und Gelbtöne fast vollständig absorbiert
Die Liebeserklärung ist fast nicht mehr zu erkennen.
Sie können sich das Farbsehen der Korallenfische nicht vorstellen?
Hier vielleicht eine Annäherung daran: Besuchen Sie das Vivarium im Dählhölzli am Abend, kurz bevor der Tierpark seine Tore schliesst oder an einem Abendanlass. Wenn die künstliche Dämmerung über dem Korallenriff hereinbricht und es zu einer diffusen, blaugetönten Masse verschwimmt, leuchten vereinzelt Korallen oder Punkte oder Steifen auf Fischen intensiv auf, vergleichbar mit dem weissen T-Shirt in einer Disko. So ähnlich nimmt ein Fisch seine Umgebung inklusive UV-Strahlung war.